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Die Erscheinungen von Sievernich aus sozialwissenschaftlicher Sicht

 

Zunächst einmal ist es hilfreich sich zu vergegenwärtigen, dass Visionen und Erscheinungen seit je her Bestandteil vieler Religionen und religionsförmiger Weltanschauungen sind. Ihr Vorhandensein lässt sich von den Naturreligionen bis hin zu den Engelbotschaften moderner Gebrauchsesoterik belegen. Für diese Erörterung ist besonders der Hinweis bedeutsam das sich solche Erscheinungen quasi an religiös- kulturellen Vorgaben halten, und dass, ebenso die Ikonografie und die Begleitumstände der Erscheinungen jeweils zu den Vorstellungen der Gläubigen passen. Ein Umstand der von sich aus wenig über die Glaubwürdigkeit solcher Phänomene sagen lässt, aber schon etwas mehr über die Macht religiöser Vorstellungen und Erwartungen zu erkennen gibt. So erscheint zum Beispiel Krishna zuverlässig im hinduistischen Kontext und Maria zuverlässig im Katholischen.  Deswegen möchte ich in diesem Text meinen Blick nicht auf die Glaubwürdigkeit solcher Ereignisse lenken, damit sollen sich die Vertreter der Religionen beschäftigen, deren Aufgabe es ist, in solchen Fällen, für ihren Anhänger Gewissheit zu schaffen, sondern lieber die Frage stellen was sie im persönlichen, sozialen und gemeinschaftlichen Kontext bewirken?

Visionen, Eingebungen und Erscheinungen treten in religiösen Kontexten oft zusammen mit großer Frömmigkeit, intensiver Praxis in Gebet und oder Meditation auf, ein erster Hinweis auf die förderlichen Bedingungen spiritueller Intensität für das Auftreten von Erscheinungserlebnissen.

Das „Erscheinen“ der Gottesmutter in den kleinen Eifelvorörtchen Sievernich reiht sich aus dieser Perspektive als ein Phänomen in eine lange Kette von Marienerscheinungen in der marianischen Tradition des katholischen Glaubens ein.  Zwar will das Ereignis nicht mehr so recht in die religions- und kirchenkritische Rationalität einer sich modern gebenden Öffentlichkeit passen, innerkirchlich gesehen jedoch, stärkt es die Position der konservativ- katholischen Anhängerschaft, die nun aus ihrer Sicht für ihre eigenen Glaubensvorstellungen und kirchenpolitische Interessen sozusagen „himmlische Unterstützung“ erhält.

In Sievernich erscheint die Gottesmutter, in Sinne von sog. Durchgaben und Visionen einer Gruppe von Frauen in einem Gebetskreises mit dem Namen „Blaue Oase“ und dort insbesondere der „Seherin“ Manuela, der die Gottesmutter Maria, nach Aussage der Gebetsgruppe regelmäßig erscheint.  Die Seherin bekommt Botschaften von der Gottesmutter oder sogar vom kindlichen Jesus selbst. Das bedeutet zunächst für die Gebetsgruppe innerhalb der katholischen. Kirchengemeinde Sieverich eine Sonderrolle, vor allem denen gegenüber denen die ohne Visionen glauben wollen oder müssen.  Besonders in der marianischen Scene bedeutet sie aber auch besondere Beachtung und Anerkennung.  Eine Entwicklung die eher eine Lagerbildung als einen gemeinsamen Standpunkt fördert.

Für die Katholische Kirche im Bistum Aachen, zurzeit ebenfalls von der Missbrauchskrise und Vertrauensverlust und Kirchenaustritten gebeutelt, kommen die erneut aufflackernden Berichte von Manuels Visionen zu einer Unzeit, weil Berichte von Erscheinungen heutzutage eher polarisieren, als dass sie zur Akzeptanz des christlichen Glaubens in der Öffentlichkeit beitragen.

Die Verantwortlichen für die Beurteilung der Geschehnisse im Bistum Aachen tun sich vielleicht auch deswegen schwer mit einer klaren Position zu Sievernich, weil sie auf der einen Seite aufgrund der eigenen marianisch-katholischen Traditionen solche Geschehnisse nicht einfach ablehnen können, eine offene Zustimmung und Unterstützung einer Kirche in modernen wissenschaftlich aufgeklärten Zeiten allerdings schwerfallen muss.

Wie notwendig eine klaren Position in solchen Dingen, trotz aller Schwierigkeiten, mit Blick auf die Gläubigen und die interessierte Öffentlichkeit sein mag, kann uns vielleicht die Frage zeigen; wer profitiert eigentlich von der Entwicklungen in Sieverich, wem nützen sie, und welche Akteure ruft sie offen oder verdeckt auf den Plan?

Zunächst einmal ist ein Statusgewinn für die „Seherin“ selbst, in ihrer eigenen Gruppe und in deren Anhängerschaft zu erwarten. Dazu muss sie allerdings auch die Erwartung dieser beiden Gruppen weiterhin erfüllen.

Die Frauen in der Gebetsgruppe „Blaue Oase“ profitieren ebenfalls von den Durchgaben Manuelas, deren Bekanntheit und Ruhm färbt sozusagen auf die gesamte Gruppe ab. Das inzwischen auch andere Frauen der Gebetsgruppe etwas sehen, unterstreicht religionssoziologisch die Sonderrolle einer „Seherin“ in einer solchen gläubigen Sondergemeinschaft. Zudem sind nur weitere Erscheinungen, in unseren kurzlebigen Zeiten, der Garant dafür, das Interesse der wundergläubigen Anhängerschaft nicht erlahmt.

Das sich mit der Marienverehrung an Wallfahrtsorten, unter anderem auch gutes Geld verdienen kann, lässt sich nach einem Besuch klassischer Wallfahrtstätten wie Lourdes, Fatima oder Altötting kaum bestreiten.

Auch für konservative Priester in der katholischen Kirche hat ein Engagement in Sieverich Vorteile, räumen doch die frommen und wundergläubigen Menschen geweihten Priestern jenen Status des Besonderen und der Verehrung ein, dem sie sonst in einer säkularisierten Welt kaum noch finden. Diese Verehrung hält zumindest so lange wie die Gottesmänner sie sich mit den Erscheinungen und deren Inhalten einverstanden erklären. So wird für erzkonservative katholische Kreise Sievernich in gewissem Sinne zu einer Oase, in der sie der alten Frömmigkeit, Wundergläubigkeit und Verehrung, aus längst vergangenen Zeiten, wieder begegnen können zugleich ist jedoch der Preis der einseitigen Vereinnahmung durch marianische Interessensgruppen zu entrichten. Dies ist wohl eine der fundamentalistischen Versuchungen die katholischen Priester an sogenannten Wallfahrtsorten zu bestehen haben.

Doch auch die wundergläubige Anhängerschaft profitiert von den Erscheinungen, bekommt sie doch jene Hinweise und einfachen Botschaften die sie in ihrer eigenen Überzeugung bestärken. Zugleich wird ihnen ein in sich geschlossenes zweifelsfreies Weltbild zur Verfügung stellt das den Anschein erweckt die wahren Zusammenhänge zwischen Himmel und Erde zu erkennen und darüber hinaus eine mächtige Fürsprecherin Himmel zu haben die die eigenen Positionen und Anliegen unterstützt. Auch das tröstliche einer solchen Vorstellung in persönlichen und allgemeinen Krisen und Konflikten ist nicht von der Hand zu weisen.

So gesehen hat Sievernich das Zeug zu einer marianischen Enklave, die zumindest die, Akteure vor Ort, die Krise der Katholischen Kirche in Deutschland und den damit verbundenen Macht- und Bedeutungsverluste vergessen machen könnte. Das mag den Akteuren genug sein. Ob es einer Kirche in der Krise guttut, sich auf die erzkonservativen und endzeitlichen Botschaften aus Sievernich ein- zulassen darf allerdings ernsthaft bezweifelt werden.

Es stellen sich Fragen an die Amtskirche im Bistum Aachen. Hat das Bistum Aachen überhaupt Interesse an einer klaren Position und Stellungnahme zu Sievernich?  Gibt es gibt es eine erkennbare Klarheit im Umgang und im Verfahren? Und ist das Bistum Aachen überhaupt noch Herr des innerkirchlichen Verfahrens?

 Vor allem ist es schade, wenn Menschen in Krise Krankheit und Not, die an solchen Orten Hilfe, Orientierung und   Heilung erwarten, mehr oder weniger denen zu überlassen, die sich erkennbare persönliche Vorteile von ihrem Handeln versprechen. Es bleibt letztlich abzuwarten wem solche Szenarien schaden und wen sie nützen. Und es bleibt abzuwarten ob es in der Öffentlichkeit und Medien angesichts fortlaufender Erscheinungen in Sievernich, bei einem ungläubigen Kopfschütteln bleibt, oder ob das Sievernicher Geschehen schon jetzt seinen Beitrag zur gängigen Meinung über die ewig gestrige Katholische Kirche leistet.

 

 Wegberg den 21 Oktober 2021

 Herbert Busch, UFW-Koordinator