Anschlussfähigkeit des Gedankenguts von Verschwörungstheorien an religiöse Haltungen

 

Verschwörungstheorien unterschiedlicher Provenienz und unterschiedlichen Inhalts haben sich in neuerer Zeit etabliert  und erfahren gerade im derzeitigen „Coronajahr“ 2020 eine ungeheure Verbreitung und Aufmerksamkeit.

Dies wird maßgeblich befördert und vorangetrieben durch die Kommunikationsmöglichkeiten über das Internet und in sog. sozialen Medien, da dort jegliche Theorien ohne vorherige Diskussion und sachliche wie wissenschaftliche Überprüfung verbreitet werden können.

Bemerkenswert dabei ist, dass Verschwörungstheorien sowohl religiöser wie eben auch nicht religiöser Provenienz auch bei Menschen Beachtung und Aufmerksamkeit finden, die Mitglieder einer Religionsgemeinschaft sind.

 

Es stellen sich hier die Fragen, wieso, wo und auf welche Art und Weise es zu diesen Andock- oder Anschlussmöglichkeiten bei religiösen Menschen gerade auch seitens letztgenannter Verschwörungstheorien ohne direkten religiösen Hintergrund kommt.

 

 Hierbei soll unterschieden werden zwischen

  • dem Bezug von Verschwörungstheorien zu allgemeinen psychosozialen Hintergründen von Religion sowie
  • speziellen Aspekten der von Verschwörungstheorien durchgeführten Kommunikation ihrer Inhalte und Lehren mit Anschlussfähigkeit an Lehren etablierter Religionen.

 

Im Folgenden werden Thesen aufgestellt, die der Beantwortung dieser Frage nach dem Wie und Wo der Andockfähigkeit von Verschwörungstheorien an etablierte Religionen und deren Mitglieder dienen sollen.

Gedacht sind diese Thesen als Grundlage zur Diskussion vor dem Hintergrund, dass Verschwörungstheorien mit allen Risiken und Gefährdungen nicht nur mitten in unseren politischen Staatssystemen angekommen sind sondern gerade auch mitten in der Gesellschaft und mitten unter den Menschen -  eben auch solchen mit herkömmlicher Lebensweise und Religiosität.

Formuliert werden diese Thesen ohne Anspruch auf wissenschaftliche Vollständigkeit und in kurzer Art und Weise zunächst ohne Darstellung der detaillierten Recherche, die diesen Thesen zugrunde liegt. Weitere, auch wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den dem Aufsatz zugrundeliegenden Thesen halten wir für empfehlenswert.

 

 

 

 A) Psychosoziale Hintergründe von Religion

 

Religionen erfüllen in psychosozialer Hinsicht diverse „Funktionen“, zu denen unter anderem gehört:

 

  1. Sinnkonstruktion

 In  Religionen geht es unter anderem darum, die  Vorgänge in der Welt zu beurteilen  und daraus  Werturteile, Ordnungssysteme und  Verhaltensregeln für Ihre Gläubigen abzuleiten

 

2.Kontingenzbewältigung

 Nach Niklas Luhmann (Soziologe)  geben Religionen Menschen die Möglichkeit, persönliche, soziale und natürliche Katastrophen besser zu bewältigen, weil sie diese in einen höheren sinnhaften Kontext stellen.

 

  1. Steuerungsfunktion:

 Religionen  haben auch Ordnung-,  Steuerungs- und Beeinflussungsfunktionen, aus denen heraus sie eigene  Glaubenssätze und  Lehren entwickeln und zu verbreiten trachten.

 

  1. Entlastungsfunktion:

Für den Fall, dass die von den Religionen erwarteten  Verhaltensweisen  ihren Anhängern nicht gelingen, haben sie Systeme von Erklärungen und  Schuldzuweisungen entwickelt, die den Umgang mit dem eigenen Versagen erleichtern.

 

Für die  psychosoziale Inkubationsdynamik von Verschwörungstheorien stellen diese Funktionen des Religiösen einen Vorteil dar, weil sie gewohnte Emotions- und Erklärungsmuster bedienen und damit Glaubwürdigkeit und Annahme erleichtern können. Verschwörungstheorien werden so für ihre Anhängerschaft zum Religionsersatz. Sie geben zum Beispiel der Pandemie ihren Sinn, erleichtern den Umgang mit ihr, setzen sie im Interesse der Akteure ein, erklären und schreiben Schuld zu. Sie sind damit  eher eine Sache des Glaubens und der Gefühle als der Vernunft und der  Politik-  was sie unseres Erachtens nicht  harmloser oder ungefährlicher macht- im Gegenteil, es begünstigt ihre Verbreitung!

 

 B) Spezielle Aspekte zur Kommunikation der Lehren von Verschwörungstheorien

 

Im Vergleich mit den vorher genannten psychosozialen Aspekten mag der folgende Ansatz aus der Kommunikationslehre eher banal erscheinen. Gleichwohl könnte er gerade bei den ersten Kontakten mit Verschwörungstheorien wesentlich für deren Andockfähigkeit an „normale“ Menschen auf Grund von deren religiöser Rückbindung verantwortlich sein.

 

Aus den Kommunikationswissenschaften ist im Sinne einer sog. Sender-Empfänger-Theorie bekannt (vereinfacht dargestellt):

Die Rezeption=Aufnahme jedweder Information beim Einzelnen, einer konkreten Zielgruppe oder sogar bei größeren gesellschaftlichen Gruppen hängt im Wesentlichen von der Gestaltung dieser Information hinsichtlich Formulierung, Zeitpunkt, Art der Darstellung, Person des Darstellers, verwendete Medien usw. ab. Dies gilt für jegliche Werbung, politische Kampagne und vieles andere mehr.

 

Eine Rezeption=Aufnahme der Information beim Rezipienten/der Zielgruppe bis hin zur Identifikation mit dieser Information hängt von mehreren Faktoren ab, die ganz wesentlich in der Person des Rezipienten begründet sind und für eine erfolgreiche Informationsvermittlung unbedingt zu beachten sind. Hierzu können gehören u. a.

 

  • Verständlichkeit der Information, hier insbesondere Bekanntheit von verwendeten Begriffen
  • Allgemeiner Bezug zur eigenen Persönlichkeit des Rezipienten oder zum Hintergrund der Zielgruppe
  • Möglichst konkrete Bedeutung für Persönlichkeit oder Leben des Rezipienten oder das Funktionieren der Zielgruppe, z. B. Erfüllung seiner Bedürfnisse, Wünsche oder Träume, Sicherung seiner Existenz usw.

 

  1. These zu Verschwörungstheorien:

 

Verschwörungstheorien verwenden bei der Darstellung ihrer Inhalte und Lehren durchaus – bewusst oder unbewusst –  

  • Bilder, Mythen, Bezeichnungen und Formulierungen,
  • die in gleicher, ähnlicher oder zumindest vergleichbarer Weise aus den großen Religionen, insbesondere den drei abrahamischen Religionen Judentum, Christentum und Islam bekannt sind und
  • eine Zugehörigkeit, Passgenauigkeit oder Übereinstimmung der von der Verschwörungstheorie vertretenen Lehren oder Inhalte mit dem eigenen religiösen Hintergrund zumindest nahelegen oder vermuten lassen

 

Diese Bekanntheit der Bilder, Mythen, Bezeichnungen und Formulierungen kann gerade bei Erstkontakt Aufmerksamkeit erzeugen, die Akzeptanz von Menschen mit den Inhalten solcher Verschwörungstheorien fördern und ggf. bei der Identifikation mit diesen Inhalten mitwirken.

Es kann davon ausgegangen werden, dass dieser Mechanismus des Andockens von Verschwörungstheorien über bekannte Begriffe an religiöse Hintergründe von Menschen umso besser funktionieren kann, je mehr diese Menschen für diese Begriffe zugänglich sind und je mehr ihre Religion das Leben dieser Menschen bestimmt oder hierfür wichtige Bedeutung hat.

Folglich kann davon ausgegangen werden, dass religiös sozialisierte und ausgerichtete Menschen umso empfänglicher für Verschwörungstheorien sein können, je fundamentalistischer ihr Glaube ist.

 

 

Zusammenfassung und Ausblick

 

In Form von 5 Thesen mit psychosozialem sowie kommunikationsbezogenem Hintergrund wurde gezeigt, wie und wo Möglichkeiten zum Anschluss oder zum Andocken von Verschwörungstheorien an religiöse Haltungen und Inhalte bestehen.

Aus diesem Pool (insbesondere fundamentalistisch ausgerichteter) religiös orientierter Menschen resultieren erweiterte Chancen für Verschwörungstheorien zur Generierung neuer Unterstützer oder - bezogen auf internetbasierte Verschwörungstheorien- neuer „Follower“.

Die Akquirierung derartiger Unterstützer könnte in Fortsetzung eines bereits zu beobachtenden Trends die Entwicklung von internetbasierten Verschwörungstheorien hin zu internetbasierten Religion(sgemeinschaft)en mit sektenähnlichem Charakter befördern.

Parallel zum Crowdfunding zur internetbasierten Finanzierung von Projekten sowie zur Crowdintelligence=Schwarmintelligenz zur internetbasierten Lösung von Problemen könnte man den

 

Begriff der „CROWDRELIGION“ einführen.

 

Die Identifikation eines Mitglieds könnte hier als stärker vermutet werden im Vergleich zu üblichen Religionen, da ja jedes Mitglied an der Weiterentwicklung der Crowdreligion durch eigene Beiträge im Netz sozusagen teilhaben könnte.

Allerdings bestünde trotz einer solchen pseudodemokratischen Struktur die Gefahr einer Manipulation der Mitglieder durch den oder die Verantwortlichen und die Administratoren der Internetplattformen, die es ja irgendwo im Hintergrund geben muss, mittels Steuerung und Gewichtung bestimmter Beiträge oder Richtungen, in die sich die Crowdreligion entwickeln soll.

 

Hier ist insbesondere auf die Gefahr der möglichen allmählichen Radikalisierung der Follower einer solchen Verschwörungstheorie/Crowdreligion über das Netz hinzuweisen. Gerade wenn diese ursprünglich aus friedlichen Religionsgemeinschaften herkömmlicher Provenienz akquiriert wurden, ist ihnen eine solche Radikalisierung seitens ihrer etablierten Religionen nicht bekannt und wird deswegen von den Betroffenen und ihrem Umfeld nicht erwartet.

Eine solche Radikalisierung könnte dann im Extremfall auch zu gewalttätigen Aktionen gegenüber Einzelnen und gesellschaftlichen Gruppen führen, wie die Ermordung des französischen Lehrers Samuel Paty deutlich zeigt. (Vergl. Aachener Zeitung  21. Okt. 2020, Machtlos gegen Extremisten, S.3)

 

Dies sollte allen Beteiligten und Verantwortlichen zu denken geben. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht dabei bleibt!

 

 

  1. 10. 2020

 

UFW Unabhängige Fachgruppe Weltanschauungen

 

Herbert Busch        Dr. Günter Arnolds